Verzinsung von Steuernachforderungen ist verfassungswidrig 

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen verfassungswidrig ist, soweit ab dem 1.1.2014 bei der Zinsberechnung ein Zinssatz von monatlich 0,5% zugrunde gelegt wird. Das bisherige Recht ist für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 weiter anwendbar. Für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 sind die Vorschriften über die Verzinsung dagegen unanwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.7.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu schaffen.

Sachverhalt:
Steuernachforderungen und Steuererstattung werden gemäß § 233a AO verzinst. Der Zinslauf beginnt nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, sondern erst nach einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten. Von der Vollverzinsung sind damit nur Steuerpflichtige betroffen, deren Steuer erst nach Ablauf von 15 Monaten nach der Entstehung des Steueranspruchs erstmalig festgesetzt oder geändert wird. In der Praxis hat die Verzinsung eine besondere Bedeutung bei geänderten Steuerfestsetzungen, insbesondere nach einer Außenprüfung. Die Zinsen betragen für jeden vollen Monat des Zinslaufs 0,5% = 6% jährlich. Die Vollverzinsung wirkt sich sowohl zugunsten (bei einer Steuererstattung) als auch zuungunsten (bei einer Steuernachforderung) aus. Die Gründe für eine späte Steuerfestsetzung und insbesondere, ob die Steuerpflichtigen oder die Behörde hieran ein Verschulden trifft, sind für die Verzinsung unerheblich.

Die Verzinsung von Steuernachforderungen war ursprünglich verfassungsgemäß. Das Ziel der Vollverzinsung, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden, ist legitim. Der Verzinsung der Steuernachforderungen liegt die Annahme zugrunde, dass Steuerschuldner, deren Steuer erst spät festgesetzt wird, einen fiktiven Zinsvorteil haben. Zweck der Vollverzinsung ist die Abschöpfung dieses Zinsvorteils. Die Vollverzinsung ist somit geeignet, dieses Ziel zu erreichen.

Dies gilt grundsätzlich auch unter Berücksichtigung der Höhe des Zinssatzes, da jedenfalls bis in das Jahr 2014 noch regelmäßig Habenzinsen erzielt werden konnten. Die Vollverzinsung ist als solche auch erforderlich. Der Zinssatz von 0,5 % pro Monat erweist sich allerdings für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2014 fallen, als nicht mehr erforderlich und verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das heißt, die Regelung ist nicht mehr mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit bei der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5% zugrunde gelegt wird.

Ursprünglich entsprach der Zinssatz mit jährlichen Zinsen von 6% in etwa den insoweit maßstabsrelevanten Verhältnissen am Geld- und Kapitalmarkt. Die Verzinsung mit einem Zinssatz von monatlich 0,5% ist aber dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn sich der typisiert festgelegte Zinssatz im Laufe der Zeit unter veränderten tatsächlichen Bedingungen als evident realitätsfern erweist. Dies ist spätestens seit dem Jahr 2014 der Fall, weil ab dann von einer strukturellen und nachhaltigen Entwicklung und somit von einem Niedrigzinsniveau auszugehen ist. Im Jahr 2014 hatte sich der jährlich 6%-ige Zinssatz bereits so weit vom tatsächlichen Marktzinsniveau entfernt, dass er schon in etwa das Doppelte des höchsten überhaupt noch erzielbaren Habenzinssatzes ausmachte.

Fazit:
Die Vorschriften über die Verzinsung sind für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 nicht mehr anwendbar. Das heißt, dass alle Zinsfestsetzungen für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 korrigiert werden müssen. Dazu muss der Gesetzgeber bis zum 31.7.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung schaffen.

Soweit bei der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume vor dem Jahr 2019 ein Zinssatz von monatlich 0,5% zugrunde gelegt wurde, ist dies verfassungswidrig (also ab 2014). Das bisherige Recht ist aber für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 weiter anwendbar. Somit können bestandskräftig festgesetzte Zinsen nicht korrigiert werden. Allerdings wird bei der Neufestsetzung der Zinsen für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 berücksichtigt werden müssen, dass diese der Höhe nach verfassungswidrig sind. Gegen die Neufestsetzung der Zinsen sollte daher unbedingt Einspruch eingelegt werden.

Quelle:Bundesverfassungsgericht| Beschluss| 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17| 07-07-2021